"Es sind folgende Fragen zu beantworten:
Was ist Scalalogie? Wie arbeiten Scalalogen? Wer befaßt sich mit Scalalogie? Wen betrifft und wem nützt die Scalalogie?
1.Definition
Scalalogie ist die "Wissenschaft von den Eigenarten und Wirkungen der Treppen", oder "Die Treppenkunde". Sie entwickelte sich aus der Treppenforschung, die in mannigfacher Weise sowohl dem praktischen Treppenbau als auch der Architektur- und Kunstgeschichte dient. Gegenstand der Forschung ist die Art der Überwindung von Höhenunterschieden durch Konstruktionen mit Stufen. Rampen gehören nicht dazu. Da das technische und künstlerische Schaffen stets Ausdruck des menschlichen Wollens und Könnens ist, genügt es nicht, allein die Objekte zu erfassen und zu studieren. Es ist nötig, sich auch für die Subjekte zu interessieren, welche die Treppen schufen, nutzten und nutzen, für die über Stufen steigenden Menschen. Die Vielfalt in Form und Technik zu erkunden und den gegenwärtigen Konstrukteuren von Treppen darzubieten.
2. Arbeitsweise
Die enge Bindung des menschlichen Steigevorgangs an die Größenverhältnisse der Stufen verpflichtet den forschenden Scalalogen, jede Treppe in allen ihren Teilen genau zu erfassen. Dabei ist es wichtig, nicht nur die Treppe selbst, sondern auch ihre Umgebung, den Treppen-Flur und den Grundriss des Hauses zu registrieren. Flur und Haus-Grundriss hängen mit der Funktionsfähigkeit der Treppe zusammen und beeinflussen das Steigeverhalten der Treppenbenutzer.
Jedes Volk, jeder Stamm, in Deutschland sogar jeder Ort hatte eine eigene Art im Bau von Hilfsmitteln zur Niveau-Überwindung entwickelt. Es wird deutlich, daß es eine Fülle von Objekten gab, von denen viele nicht mehr bekannt sind. Die Forschung muss in erster Linie den heute noch fassbaren Bestand der jemals gebauten Objekte ermitteln. Die Zeitspanne reicht von den frühesten Zeiten bis in unsere Gegenwart, die topographische Spanne umfasst alle Siedlungsgebiete treppenbauender Völker. Eine globale Recherche ist wichtig, weil die moderne Architektur international tendiert und heimische Traditionen einengt, auch verdrängt. Die erwähnte lokale Eigenart drückt sich in den Maßen aus. Wegen der schmalen Grundstücke, aber auch von der Schifffahrt her gewohnt, sind zum Beispiel Amsterdamer Haustreppen steiler als die, gleichfalls dem Handel verpflichteten Treppen in Augsburg. Hinzu kommen die seinerzeit sehr unterschiedlichen Maßeinheiten. Kennt man sie und prüft das Objekt genau, lassen sich translozierte Treppen lokalisieren.
In der DIN 18065:2011-06 "Gebäudetreppen - Begriffe, Messregeln, Hauptmaße" (Bilder A.23 bis A.3, S. 36 ff.) ist in den Grundrissskizzen der Treppen ein sogenannter "Gehbereich" ausgewiesen. Abgesehen davon, dass man auf Treppen nicht geht sondern steigt und es "Steigebereich" heißen muss, dient der angegebene Bereich allein dem Hersteller zur Einhaltung der Normvorschriften für Minimalauftritte. Er hat nichts mit der wirklichen Steigespur der Treppenbenutzer zu tun. Die tatsächliche Spur wird erst durch exakte scalalogische Messungen entdeckt.
Scalalogie ist Grundlagenforschung der Interdependenz von Mensch und Treppe, von Subjekt und Objekt, von Individuum und Materie. Wenn man das Verhalten der Treppenbenutzer insgesamt, von kleinen und großen, jungen und alten Menschen, von Kindern und Erwachsenen, von Afrikanern, Amerikanern, Asiaten und Europäern in allen Varianten kennt, wird man für sie die ihnen angemessenen Aufstiege bauen. Unbewusst ist das Problem schon lange bekannt. Man ist ihm mit dem Bau von Aufzügen und Fahrtreppen ausgewichen. Solange aber - aus welchen Gründen auch immer- Treppen gebaut werden, wird man guttun, nicht nur die Technik des Treppenbaues zu erlernen, sondern auch ihren Partner zu analysieren, der das Werk nutzen soll. Studiert man die einschlägigen Fachbücher, wird erschreckend deutlich, dass von den Nutzern fast nie die Rede ist. Noch immer verwendet man unbesehen die 1683 von François Blondel in seinem Buch Cours d'architecture theoretisch erdachte Schrittmaßformel 2s+a=65 cm (= 2 franz. Fuß), ohne zu bedenken, dass in den vergangenen mehr als 300 Jahren die Menschen zu anderen Größen erwachsen sind. Wir bemerken mit Erstaunen, um welche Längen die Kinder ihre Eltern überragen. Die Kleiderindustrie misst deshalb in Abständen von wenigen Jahren tausende potentieller Kunden, um die passrechten Konfektionsgrößen zu ermitteln. Die passrechte "Konfektionsgröße" von Stufen bzw. Treppen hat allein die Scalalogie zu ermitteln versucht, allerdings - mangels Mitarbeiter und Geld - nur auf schmaler Basis, deren Ergebnisse noch keine Allgemeingültigkeit beanspruchen dürfen.
In einer polar balancierten Institution, welche sowohl an ausgeführten Objekten Erfahrungen sammelt als auch Projektionen in die Zukunft unternimmt, wird man grundsätzlich festzustellen haben, was unabdingbar einer Normung unterliegen muss und was gestaltbar ist. Überblickt man die heutige Praxis im internationalen Treppenbau sind erhebliche Unterschiede zu erkennen. Zwar ist Allgemeingut, dass Stufenauftritte horizontal sein müssen, aber die Stufenmaße unterliegen regionalen Gewohnheiten.
Das Gleiche gilt von den Konstruktionen. Zum Beispiel sind mit Stahlseilen verspannte Stufen, wie in der Banca di Varese (Arch. R. Zavanella) oder im Technical Center von General Motors in Detroit (Arch. E. Saarinen) nur im Ausland möglich. Weitere Beispiele mit anderen Konstruktionen ließen sich leicht zusammentragen.
Und gar erst die Geländer! Wenn es nach den deutschen Bauordnern ginge, dürfte es keine Freitreppen vor öffentlichen Gebäuden geben ohne Zwischengeländer in Abständen von 2,50 m. [...] In Deutschland neigt man dazu, jedem nur denkbaren Fall vorzubeugen, auch wenn er unwahrscheinlich ist. In anderen Ländern kann man beobachten, dass es unzählige Treppen jeder Art ohne ein Geländer gibt. [...] Wer die Geschichte der Treppen kennt, weiß, dass Geländer ursprünglich nicht zum Schutz der steigenden Personen geschaffen wurden sondern als Schmuck des Aufstiegs!
3. Nutzen
Da die Scalalogie eine Forschungsrichtung ist, die sich mit der Interdependenz von Mensch und Treppe befasst, profitieren von ihren Ergebnissen Bauherren und Mieter, Architekten und Handwerker, Treppen-Hersteller und Treppen-Nutzer, schöpferische Künstler und Kunst-Historiker, Denkmalpfleger und Restauratoren, Physiologen und Psychologen, Anthropologen und Mediziner, Lehrer und Schüler - alle haben in irgendeiner Weise mit Treppen zu tun und allen kann die Treppenkunde nützlich sein."
Friedrich Mielke 2012